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Vorher ist man immer schlauer: Wo und wem nützt Predictive Maintenance?


Über den Status quo der Predictive Maintenance sprachen bei acatech am Dienstag Expertinnen und Experten und beantworteten die Fragen aus dem Publikum. Grafik: Fraunhofer, Fotos: acatech

München, 11. März 2021


Die Digitalisierung der industriellen Produktion schreitet weiter voran. Eine aktuelle Entwicklung ist Predictive Maintenance, was soviel heißt wie vorausschauende Instandhaltung und bedarfsgerechte Wartung. Diese basiert auf der Verarbeitung von Prozess- und Maschinendaten in Echtzeit und ermöglicht dadurch dem unerwarteten Ausfall von Anlagen zuvorzukommen. Bei „acatech am Dienstag“ am 9. März gaben die Referenten einen Überblick über den Nutzen der Predictive Maintenance und den Status quo in deutschen Unternehmen. Die Experten waren sich einig, dass Predictive Maintenance noch viel zu häufig Zukunftsmusik ist. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem VDI Bezirksverein München, Ober- und Niederbayern e.V. statt.

Zu Beginn der Veranstaltung führte acatech Präsident Dieter Spath Podium und Gäste kurz ins Thema ein: Predictive Maintenance – das bedeute etwas vorsorglich zu betrachten und gleichzeitig zu prüfen, wie die Produktion läuft. Wann steht die nächste Wartung an, wann würde sie den Produktionsablauf am wenigsten beeinträchtigen? Dies alles basiere auf der Verarbeitung von Prozess- und Maschinendaten in Echtzeit, um einem unvermuteten Ausfall vorgreifen zu können und damit Ersatzteile und Personal für Instandhaltungsarbeiten besser planen und somit Kosten einsparen zu können, sagte Dieter Spath. Anschließend stellte der Vorsitzende des VDI Bezirksvereins München, Ober- und Niederbayern e.V., Andreas Wüllner, den Verein Deutscher Ingenieure (VDI) vor, den größten technisch-wissenschaftlichen Verein Deutschlands, und gab dann das Wort an seine Vorstandskollegin Christa Holzenkamp weiter, die die Veranstaltung moderierte und durch den Abend führte.


Den Status quo der Predictive Maintenance schilderte anschließend acatech Mitglied Michael Henke, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik in Dortmund. Zu Beginn wies Michael Henke auf aktuelle Problemfelder hin, die Predictive Maintenance erschweren: Produktion und Instandhaltung planen getrennt, die Produktion ist relativ unflexibel, das Know-how ist stark personengebunden, das Ersatzteilwesen ist nicht strukturiert und es gibt eine überwiegend reaktive Instandhaltung, die vor allem als Kostenverursacher gesehen wird. Predictive Maintenance soll in Zukunft zu einer gemeinsamen Planung, einer verfügbarkeitsorientierten Instandhaltung, einem flexibleren Agieren und Reagieren auf Veränderungen, einem besseren Wissens- und Ersatzteilmanagement führen. Damit soll der Beitrag der Instandhaltung zum Unternehmenserfolg sichtbar werden. Als Hürden, die den Einsatz von Predictive Maintenance verzögern oder erschweren, nannte Michael Henke fehlende Kapazitäten im IT-Bereich und damit mangelndes Know-how in den Unternehmen. Ein noch nicht geklärtes Kosten-Nutzen-Verhältnis führt dazu, dass in der Unternehmenspraxis Predictive Maintenance noch nicht flächendeckend implementiert ist. In der Forschung ist sie ein interdisziplinäres Forschungsfeld, an dem Fachbereiche wie BWL, Maschinenbau und Data Science gleichermaßen arbeiten. Das Fazit von Michael Henke: Ohne Instandhaltung wird es keine Smart Factory geben. Deshalb brauchen wir in Zukunft verstärkt ein Smart und Predictive Maintenance Verständnis und Ansätze in der Praxis.


Mit der Frage von Kunden und Instandhaltern nach dem richtigen Zeitpunkt eine Komponente zu tauschen, beschäftigt sich Markus Loinig, Senzoro GmbH, Wien. Sein Start-up entwickelt – ausgehend von der Frage welche Technologie den Zustand einer Anlage optimal erfasst und belastbare Vorhersagen für die Zukunft macht – Lösungen für Predictive Maintenance und Condition Monitoring. Studien zufolge lassen sich mit Ultraschall am schnellsten Lagerschäden feststellen. Darüber hinaus zeichnet es sich verglichen mit anderen Technologien wie Öl, Vibration, Infrarot und Maschinenparameter durch wenig Hintergrundgeräusche aus und liefert damit sehr „reine“ Daten. Anhand eines Beispiels aus der Holzindustrie zeigte Markus Loinig wie das System von Senzoro mittels mobiler Breitband-Ultraschallsensoren den Zustand von Wälzlagern messen kann. KI verarbeitet anschließend die Daten und gibt einen Gesundheitsscore aus. So werden Instandhaltungskosten gesenkt, indem die Restlebensdauer von Wälzlagern vorhergesagt und zustandsorientiert getauscht werden können.


Die anschließende Diskussion begann Andreas Wüllner mit einem ernüchternden Einblick in die industrielle Praxis. Obwohl ungeplante Stillstände Horrorszenarien darstellten, würde Instandhaltung als notwendiges Übel angesehen, denn im Vordergrund stehen die Kostenseite und die Produktivität. Allzu oft sind die Mitarbeiter der Instandhaltung zu wenig in die Organisation eingebunden und arbeiten im Unternehmen neben und nicht mit der Produktion. Trotz der großen Bedeutung ist das Thema Instandhaltung bei zwei Dritteln der Unternehmen noch nicht im Management angekommen. Hier gibt es großen Nachholbedarf.


Von einem Industriezweig mit Vorbildcharakter berichtete Dieter Spath. Die Baumaschinenindustrie habe es durch Konnektivität ihrer Produkte erreicht, dass Monteure fernüberwachte Maschinen im Blick haben.


Michael Henke konnte bestätigen, dass noch zu viel Überraschung in der Instandhaltung steckt. Predictive Maintenance müsste keine Zukunftsmusik sein, auch wenn es in der Realität oft so scheint, denn obwohl der Nutzen gegenüber der reaktiven Instandhaltung auf der Hand liegt, ist das Thema noch nicht in der Breite verankert. Er forderte, dass die verschiedenen Entitäten im Unternehmen zusammengeführt werden und die Daten nicht mehr in Silos verschwinden. Er ist überzeugt, dass Instandhaltung einer der Haupttreiber für die digitale Transformation ist.


Wer ihn beauftrage, hängt von der Firmengröße ab und ist managementabhängig, so Markus Loinig. Die Entscheidung, ob sich die Einführung von Predictive Maintenance lohnt, ist stark unternehmensabhängig und richtet sich auch danach, ob Ausfallbauteile kosteneffizient modelliert werden können. Wenn bei Ausfällen keine Folgekosten entstehen, wird die reaktive Instandhaltung bevorzugt.


Um die Mitarbeiter auf dem Weg zur Predictive Maintenance mitzunehmen, formulierte Michael Henke zum Abschluss der engagierten Diskussion einen Appell zum Aufbau von Weiterbildungsangeboten, von IT-Kapazitäten und verbesserter Netzwerkkommunikation. Man muss schon in der Schule anfangen, den Kindern die MINT-Fächer nahezubringen und zeigen, wie cool das Thema Instandhaltung ist.


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